Tax migration, tax fraud oder tax evasion? Reiche ausländische Staatsangehörige in der Schweiz

Die Schweiz ist seit dem Zweiten Weltkrieg ein bedeutender Zufluchtsort internationaler Vermögen. Das betrifft nicht nur natürliche Personen, sondern selbstverständlich auch juristische Personen.

 

Fast alle Schweizer Kantone kennen die steuerrechtliche Konstruktion der sogenannten „Besteuerung nach dem Aufwand“, bei der zwar Steuern auf Einkommen und Vermögen erhoben werden, diese Steuer jedoch für zuwandernde ausländische Personen auf ein Minimum reduziert ist. Diese Aufwandbesteuerung ausländischer Personen wird in verschiedenen Kantonen angeboten. Aufwandbesteuerung bedeutet, je nach kantonalem Steuerrecht unterschiedlich, dass nur die geschätzten Kosten des Lebensunterhalts besteuert werden. Man spricht auch von Pauschalbesteuerung, deren Höhe mit den zuständigen Steuerämtern vereinbart werden kann. Als Beispiel dient hier die einschlägige Bestimmung des Steuergesetzes des Kantons Nidwalden[1]

 

Durch diese Art der Besteuerung bleiben massive Erträge aus Kapital aus dem Ausland wie Zinsen und Dividenden und auch inländische Kapitalerträge unbesteuert oder minimalbesteuert, was zu enormen Verlusten an Steuersubstrat in den Herkunftsländern bedeutet. Aufwandbesteuerung wird nur gewährt, wenn keine Erwerbstätigkeit in der Schweiz vorliegt.

 

Eine Besonderheit des Schweizer Einkommens- und Vermögenssteuerrechts ist die verfassungsrechtlich verankerte Aufteilung der Steuerhoheit auf den Bund, die Kantone und die Kommunen. Der Bund erhebt keine Vermögenssteuern, sondern nur Einkommenssteuern. Die Kantone erheben Vermögens-, Einkommens- und Erbschaftssteuern nach kantonalem Recht. Die Steuersätze wiederum werden im Rahmen des kantonalen Rechts durch die Kommunen bestimmt und unterliegen bei Änderungen je nach kantonalem und kommunalem Recht Abstimmungen (Parlament, Urne oder Gemeindeversammlung). Dieser Mechanismus wird auch unter dem Titel „Steuerwettbewerb“ abgehandelt und führt dazu, dass in bestimmten Gemeinden und Kantonen  vorwiegend reiche Individuen wohnen, in anderen eher arme Individuen oder solche mit mittlerem Einkommen. Die eidgenössische Steuerverwaltung berechnet jeweils die Steuerkraft der Kommunen und Kantone, welche als Grundlage für den sogenannten kantonalen Finanzausgleich dient. Die resultierenden Ausgleichszahlungen stellen sicher, dass alle Kommunen und Kantone über ein notwendiges Minimum an Einkommen verfügen.

Die verschiedenen Kantone und Kommunen sprechen je nach Steuermigrationsmodell unterschiedliche Klientele an. Reiche Privatpersonen aus der Bundesrepublik Deutschland und aus der Republik Österreich werden vor allem in den zentralschweizer Kantonen Luzern, Nidwalden, Obwalden und Schwyz rekrutiert. Diese Kantone sind günstig gelegen, weil sie sich in genügendem Abstand zu der deutschen und der österreichischen Grenze befinden, da die Steuerbehörden in Deutschland und Österreich Wohnsitze in den Grenzkantonen wie z.B. Zürich, Thurgau oder St.Gallen nicht ohne weiteres als steuerrechtlichen ausländischen Wohnsitz anerkennen. Personen mit Wohnsitz in Grenznähe werden von ihren Heimatländern als Grenzgänger qualifiziert, wenn sie auch nur den geringsten Bezug zu ihrem Heimatland aufweisen (Grenzübertritte, Besuch verwandter und befreundeter Personen im Heimatland etc.). Häufig werden auch Daten der Mobiltelefonie und des Internetzugangs zum Nachweis des steuerrechtlich relevanten Wohnsitzes oder Aufenthalt abgegriffen. Für diese Klientel von Vorteil ist natürlich der verbreitete Gebrauch der deutschen Sprache in diesen Regionen der Schweiz.

Nid- und Obwalden zum Beispiel locken mit auf den ersten Blick sehr günstigen Steuersätzen. Während der Kanton Zug mit seiner Steuerpolitik eher ausländische Firmen fokussiert, sind die Kanton Nidwalden, Obwalden und Luzern in erster Linie auf Privatpersonen aus. Diesen Privatpersonen ist allerdings die Errichtung eines (Pseudo-)Wohnsitzes nicht unbedingt zu empfehlen, da die Steuerbehörden den eventuellen Wegzug in der Regel nicht akzeptieren und versuchen, diese Personen in der Folge nicht mehr aus der Steuerpflicht zu entlassen. Eine andere Frage ist die Gestaltung des Erbsteuerrechts, welches in der Schweiz bis zu 40% des Nachlasses der Staatskasse zukommen lässt. Die Ausweise, welche nötig sind, um für die Ausländerin die Entlassung aus der Steuerpflicht im Herkunftsland zu erreichen, werden von den kantonalen und kommunalen Behörden sehr schnell und in einer professionell untadeligen Weise ausgestellt. Lokale Anwaltskanzleien mit enger Verbindung zu den Steuerbehörden sorgen ausserdem für den reibungslosen Ablauf des Transfers zum neuen steuerrechtlichen Wohnsitz in einem schweizer Kanton.

Diese Praxis führt auch zu permanenten Klagen der Nachbarstaaten wegen Steuerumgehung und ist mitursächlich für die grossen Schwierigkeiten, mit denen die Schweiz in den Verhandlungen mit der EU zu kämpfen hat. Zudem führen einige Steuerbehörde selber Werbekampagnen, welche weitere Personen in die gemeinschädlichen Steuerparadiese locken sollen.

Ein aktuelles Beispiel der Steuermigration zeigt sich bei norwegischen Staatsangehörigen. Steuermigration ist ein dynamisches Phänomen. Norwegen erhöhte im November 2022 für grosse Vermögen den Steuersatz von 1 % auf 1.1 % und für Kapitalerträge und Dividenden von 35,2 % auf 37,8 %. Prompt verdoppelte sich die Zuwanderung von Norwegerinnen und Norwegern von durchschnittlich 200 jährlich in den Jahren 2018 bis 2022 auf ca. 400 in den letzten 12 Monaten. Am meisten Personen empfing der Kanton Luzern (gefolgt von Zug, Zürich und Tessin) und am meisten Vermögen wanderte in den Kanton Tessin (gefolgt von Zürich, Zug und Luzern). Rein steuerkalkulatorisch lohnt sich für eine Norwegerin bereits ab einem eher kleinen Vermögen von ca. 3 Mio. CHF ein Umzug in die Schweiz. Von grossem Vorteil ist, dass juristische Personen, an denen die Ausländerinnen beteiligt sind, ausländische Firmen bleiben, die Kapitalerträge daraus in der Schweiz hingegen dank der Möglichkeit der Aufwandbesteuerung mehr oder minder unversteuert ihre Empfängerin erreichen. Da es sich bei Norwegen nicht um einen Nachbarstaat handelt, sind Zürich und Tessin beliebte Zielorte, gerne mit Seeanstoss oder Seeblick. Häufig sind die gemeldeten Wohnsitze durchaus bescheidene kleine Wohnungen, manche Residenzen aber auch sehr opulent ausgestaltet.

République et Canton de Genève und Canton du Vaud sind neben der Zentralschweiz bevorzugte Zielgebiete für arabische, amerikanische und osteuropäische Zuzügler.

Da für die Schweiz mindestens seit der Gründung des modernen Bundesstaates im Jahre 1848 Identität durch Diversität ein staatsbildendes Prinzip ist, ist sie gut in der Lage für vermögende Personen weltweit tax migration und tax evasion anzubieten und gleichzeitig Schutz vor ausländischen Steuer- und Strafermittlungsbehörden zu bieten, also Verfahren wegen tax fraud ins Leere laufen zu lassen. Konkurrenten der Schweiz im Bereich der tax migration sind unter anderen Zypern, Malta, Liechtenstein, Luxembourg, Isle of Man, Guernsey, Jersey (UK), Delaware (USA), Bahamas, Andorra und Monaco.

Das Beispiel des Exodus eines bedeutenden Teils der reichsten Norwegerinnen und Norweger in die Schweiz und nach Zypern und deren Rezeption in der norwegischen Öffentlichkeit verdeutlicht auch die Rolle des Humanfaktors. Solange Steuerregimes Modelle wie die sogenannte „Pauschalbesteuerung“ für schwerreiche Personen legal anbieten und unterstützen, korrumpiert die Praxis der Steuerflucht die Basis der durch das Steuersystem zu schützende soziale Kohäsion (Tuksen et. al.). Auch in der Schweiz, welche durch die dargestellte Praxis profitiert, gelten ausländische Steuerflüchtlinge als moralisch minderwertige Personen. Bei Volksabstimmungen, und Abstimmungen über Steuervorlagen finden in der Schweiz mehrmals pro Jahr statt, siegt jedoch fast immer das Eigeninteresse über den Kategorischen Imperativ.

  

Quellen

 

Neue Zürcher Zeitung, 27.01.2023: Hei, Sveits - warum die reichsten Norweger zu uns kommen.

Kjell Inge Rökke: 3,8 Mia. CHF, 45 Mia. Kronen, Caroline Hagen Kjos: 1,8 Mia. CHF, Svein Stoele: 1,3 Mia. CHF, Joergen Dahl: 1 Mia. CHF 12 Mia Kronen, Quelle: kapital.no 28.06.23 400 Norges rikeste; Dagens Naeringsliv: 12.09.22, Investor Kjell Inge Roekke melder flytting til Sveits.

Forbes.com

finansavisen.no

finansavisen.no/nyheter/finans/2022/12/08/7967734, publisert 8. des. 2022: Eiendomsmilliardær Dag S. Stiansen (77) har flyttet til Sarnen i Sveits sammen med sin kone.

finansavisen: Milliardær-safari i Sveits: https://www.finansavisen.no/nyheter/finans/2022/12/02/7965741/milliardaer-safari-i-sveits

Jean-Claude Raemy: Die Schweiz wird zum Steuerparadies reicher Norweger, Blick, 12.05.2023.

Tuksen et al.: https://academic.oup.com/book/45658

U Turksen, R Kreissl, E T Blumenschein 5 The Role of Human Factors in Tax Compliance and Countering Tax Crimes: https://doi.org/10.1093/oso/9780192862341.003.0005

https://academic.oup.com/book/45658/chapter/398029229


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[1]Steuergesetz des Kantons Nidwalden, Amtliche Sammlung, 521.1

Art. 16 Besteuerung nach dem Aufwand

1 Natürliche Personen haben das Recht, anstelle der Einkommens- und Vermögenssteuer eine Steuer nach dem Aufwand zu entrichten, wenn sie:

1. nicht das Schweizer Bürgerrecht haben;

2. erstmals oder nach mindestens zehnjähriger Unterbrechung unbeschränkt steuerpflichtig (Art. 4) sind; und

3. in der Schweiz keine Erwerbstätigkeit ausüben.

2 Ehegatten, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben, müssen beide die Voraussetzungen gemäss Abs. 1 erfüllen.

3 Die Steuer, die anstelle der Einkommens- und Vermögenssteuer tritt, wird nach den jährlichen, in der Bemessungsperiode im In- und Ausland entstandenen Lebenshaltungskosten der steuerpflichtigen Person und der von ihr unterhaltenen Personen bemessen. Hierbei ist deren Vermögen angemessen zu berücksichtigen. Die Bemessung richtet sich unter Vorbehalt von Abs. 4 jedoch mindestens nach dem höchsten der folgenden Beträge:

1. einem durch den Regierungsrat festgelegten Mindestbetrag;

2. für steuerpflichtige Personen mit eigenem Haushalt: dem Siebenfachen des jährlichen Mietzinses oder des Mietwerts nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 2;

3. für die übrigen steuerpflichtigen Personen ohne eigenen Haushalt: dem Dreifachen des jährlichen Pensionspreises für Unterkunft und Verpflegung am Ort des Aufenthalts nach Art. 4; oder

4. der Summe der Bruttobeträge:

a) des in der Schweiz gelegenen unbeweglichen Vermögens und von dessen Einkünften;

b) der in der Schweiz gelegenen Fahrnis und von deren Einkünften;

c) des in der Schweiz angelegten beweglichen Kapitalvermögens, einschliesslich der grundpfändlich gesicherten Forderungen, und von dessen Einkünften;

d) der in der Schweiz verwerteten Urheberrechte, Patente und ähnlichen Rechte und von deren Einkünften;

e) der Ruhegehälter, Renten und Pensionen, die aus schweizerischen Quellen fliessen; und

f) der Einkünfte, für welche die steuerpflichtige Person aufgrund eines von der Schweiz abgeschlossenen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung gänzliche oder teilweise Entlastung von ausländischen Steuern beansprucht.

4 Die Steuer, die anstelle der Vermögenssteuer tritt, bemisst sich nach einem steuerbaren Vermögen, das mindestens dem Zwanzigfachen der Bemessungsgrundlage nach Abs. 3 Ziff. 1, 2 beziehungsweise 3 entspricht.

5 Die Steuer wird nach den ordentlichen Steuertarifen berechnet.