Maßnahmenvollzug - Reform, bitte warten
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Aktuelle Fälle lassen die Diskussion um den Maßnahmenvollzug in regelmäßigen Abständen unter verschiedenen Gesichtspunkten aufpoppen. Der damalige Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) kündigte im Frühling 2014 eine Reform in diesem Bereich an. "Diese Reform ist in der politischen Diskussion steckengeblieben", konstatierte der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl am Mittwoch im APA-Gespräch.
Der Leiter des Vienna Centers for Societal Security (VICESSE) sah zwei Hauptprobleme: "Zum einen ist der Maßnahmenvollzug ein bisschen zum Mistkübel für Leute geworden, die nicht hineingehören." Zum anderen aber gebe es Leute, die man nicht auf der Straße haben wolle. "Der Maßnahmenvollzug ist ein bisschen ein Stiefkind", sagte Kreissl.
Mit 1. April diesen Jahres befanden sich 896 Personen laut Justizministerium im Maßnahmenvollzug, davon 513 nach Paragraf 21/1 Strafgesetzbuch (StGB) und 383 nach Paragraf 21/2 StGB. Bei 21/1 StGB geht es um Personen, die eine mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohte Tat verübt haben und dies unter Zurechnungsunfähigkeit, die auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades beruht. Bei Paragraf 21/2 waren sie nicht zurechnungsunfähig bei der Tat, sind aber seelisch gestört und abartig.
Die Zahlen sind laut Kreissl in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen. Das liegt laut dem Kriminalsoziologen daran, dass "nicht mehr in den Maßnahmenvollzug kommen, sondern jüngere (und damit länger bleiben, was die Gesamtzahlen ansteigen lässt, Anm.)".
Eines der größten Probleme in Österreich ist die Begutachtung, "die hierzulande suboptimal ist", sagte Kreissl. Ähnlich sieht dies Markus Drechsler, Obmann der "Selbst- und Interessensvertretung zum Maßnahmenvollzug" (SIM). Die Qualität der Gutachten lasse zu wünschen übrig. "Erstens gibt es keinen Lehrstuhl für forensische Psychiatrie. Zweitens ist die Bezahlung für psychiatrische Gutachten sehr schlecht", konstatierte Drechsler. Je nach Umfang werde pro Expertise zwischen 400 und 1.000 Euro bezahlt, was im Verhältnis zum Aufwand eine sehr geringe Entschädigung ist.
"Und drittens gibt es keine Kriterien, nach denen Richter entscheiden können", sagte Drechsler. Gerichte müssen von Amts wegen mindestens jährlich prüfen, ob die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher oder in einer Anstalt für gefährliche Rückfalltäter noch notwendig ist. Drechsler verwies unter anderem auf Skandinavien, wo solche Entscheidungen aufgrund von Kriterienkatalogen von mehrköpfigen Gremien getroffen werden.
In Bezug auf den Mann, der in seiner Wohnung in Wien-Brigittenau eine Frau umgebracht, zerstückelt und dann im Neusiedler See versenkt haben soll, sagte Drechsler: "Es ist die Frage, was in den 20 Jahren Maßnahmenvollzug passiert ist." Der Verdächtige war im Oktober 2016 bedingt entlassen worden, nachdem er sich mehr als 20 Jahre lang im Maßnahmenvollzug befunden hatte. "Es gibt einen großen Unterschied zwischen Linz-Asten (eine forensisch- psychiatrische Anstalt, Anm.) mit einem sehr hohen Personalschlüssel von fünf zu eins und zum Beispiel Krems-Stein", erläuterte Drechsler. Dort unterscheide sich die Station für Personen im Maßnahmenvollzug von einem "normalen" Trakt für Schwerverbrecher allenfalls dadurch, dass von Zeit zu Zeit Therapie angeboten werde.
"Es fehlt grundsätzlich am Prinzip Freiwilligkeit", kritisierte Drechsler. Psychotherapie helfe nur, wenn der Patient bereit sei, mitzuarbeiten. Wenn ein Eingewiesener das nicht wolle, müsse zunächst die Frage nach der Relation gestellt werden: Stimmt die Verhältnismäßigkeit zwischen dem verurteilten Delikt und der Maßnahme? "Wenn dann einer wirklich therapieresistent ist, muss auf eine menschenrechtskonforme Unterbringung geachtet werden", stellte der SIM- Obmann klar. In Deutschland dürfe eine Anstalt zudem nicht aufgeben und müsse immer wieder versuchen, ob der Betroffene nicht doch zu einer Therapie bereit sei.