Polizieren der Pandemie als Mehrebenen-Problem
Title: Polizieren der Pandemie als Mehrebenen-Problem
Authors: Roger von Laufenberg, Angelika Adensamer, Paul Luca Herbinger
Publication: NK Neue Kriminalpolitik
Published: 2021
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Citation:
von Laufenberg, R.; Adensamer, A.; Herbinger, P. (2021): Polizieren der Pandemie als Mehrebenen-Problem. In NK 33 (4), pp. 437–455. DOI: 10.5771/0934-9200-2021-4-437.
Abstract:
Das rasche Auftreten der COVID-19-Pandemie und die daraufhin ergriffenen Maßnahmen waren ein immenser Einschnitt für die Routinen und Arbeitsweisen ganzer Gesellschaften. Trotz grundlegender Unterschiede im Verlauf der Pandemie in verschiedenen Ländern war eine nahezu universelle Reaktion hierbei der Einsatz der Polizei als zentraler Akteur in der Pandemiebekämpfung. In vielerlei Hinsicht lässt sich im Kontext der COVID-19-Pandemie von dem ersten globalen Polizeiereignis sprechen. Die Notwendigkeit des sofortigen Handelns einer komplexen Gruppe von Akteur:innen – vor allem von Regierung, Ministerien und Polizei – hat die Grenzen der Handhabung der Pandemie gezeigt. Diese Grenzen zeigten sich hauptsächlich in einer Störung des klassischen demokratischen Handlungsrepertoires, wie z. B. Befehlsketten und bestehende Kontrollsysteme, oder auch Gesetzgebungsprozesse und deren praktische Umsetzung.
Die schnelle Mobilisierung der Polizei war somit auch mit einer Reihe von erheblichen Herausforderungen verbunden. Die übereilte Umsetzung von Gegenmaßnahmen führte zeitweise zur Verletzung von Grundrechten der Bürger:innen. Die mangelnde Präzision von Gesetzen und Rechtsverordnungen hat der Polizei einen ungewöhnlich großen Ermessensspielraum eingeräumt, individuelle Polizist:innen konnten freier entscheiden, welche COVID-19 Maßnahmen, wie umzusetzen und zu sanktionieren sind. Dies führte zu Unsicherheit und Verwirrung der betroffenen Bürger:innen, aber auch innerhalb der Polizei als Organisation. Die zugewiesene Rolle der Polizei und die dadurch auftretenden Probleme, wie etwa Polizeiwillkür, werfen daher die Frage auf, ob die Polizei überhaupt Gesundheitskrisen wirksam bewältigen kann. Letztlich zeigt der Einsatz der Polizei bei der Bewältigung der aktuellen Pandemie möglicherweise Grenzen der demokratischen Handlungsrepertoires selbst auf.
Allerdings zeigen sich im polizeilichen Ermessenspielraum möglicherweise auch strukturelle Funktionen der Beziehung zwischen dem Staat und der Polizei, die zentral für die Bearbeitung und Beruhigung der Grenzen des demokratischen Handlungsrepertoires sind. In diesem Beitrag wird daher diese Doppelrolle der Polizei und deren Ermessensspielraum untersucht. Anhand von explorativen Interviews mit Polizeibeamt:innen, einer vorläufigen Sichtung von Medienberichten und Verordnungen, sowie Elementen einer Alltagsempirie, wird versucht, die Umrisse der durch die Pandemiebewältigung enthüllten Grenzen des demokratischen Handlungsrepertoires nachzuzeichnen. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der strukturellen Rolle, welche der Polizei in diesen Bewältigungsversuchen zukommt.